In Heinrich von Kleists kleiner Schrift „Über das Marionettentheater“ erfährt der Autor in einem Gespräch von seinem Gegenüber, warum Marionetten anmutiger tanzen können, als es dies jeder Tänzer jemals zustande brächte. Da sie den Gesetzen der Physik gehorchen müssten, seien ihre Bewegungen unmittelbar und frei von jedem künstlichen Gehabe. Auch Karl-Heinz Ströhle - Bildhauer, Performance- und Medienkünstler - der mich auf den Text von Kleist aufmerksam gemacht hatte, war fasziniert von der ungeheuer lebendigen Wirkung des Puppentheaters. Er schuf Skulpturen aus schwingenden Stahlbändern, die er in ihrer Wirkung mit Marionetten verglich: durch einen Impuls in Bewegung gesetzt, würden sie einen Effekt der Lebendigkeit erzeugen, der Ausdruck starker Gefühle sein könne.
Im Sommer 2016 ist Karl-Heinz während einer Bergtour plötzlich gestorben. Bei meiner Arbeit an dieser Bilderserie musste ich oft an ihn und unsere Freundschaft denken, die während der gemeinsamen Schulzeit im Gymnasium begonnen hatte. Die Beweglichkeit der Seegräser im Wind erinnert mich stark an seine Skulpturen. Diese unmittelbare Wirksamkeit der natürlichen Kräfte im Raum erzeugt visuelle Figuren, die eine ähnliche Anmut ausstrahlen, wie es die Marionetten tun. Sie üben eine spontane Anziehungskraft aus, die unseren unbewussten Sinn für Formen anspricht. Dieser „Sinn“ stellt eine wesentliche Grundlage unseres Denkens und Fühlens dar, weil er die Wurzel aller Abstraktion ist und es erst ermöglicht, Erfahrung als geformtes "Ganzes" zu erleben. Die Faszination über die lebendig wirkenden visuellen Figuren der Marionetten, Stahlbänder und Seegräser verweist daher auf emotional bedeutsame Erfahrungen, die unserem mehr diskursiv geprägten Denken grundlegend vorausgehen.