Aus leichtsinnig hingeworfenen Momenten spriessen Märchenbäume

(Zitat: Janet Frame)

 

2021

"Ich muss mich vorsehen, dachte sie. Mein Geist ist mit einer Substanz für schnelles Wachstum bestrichen, einer Art Kompost mit günstiger Wirkung auf weggeworfene Momente, die so unvermittelt und so hoch aufschießen wie Märchenbäume, und ehe ich ein- oder zweimal zwinkern kann, steht ein Wald - Vögel, Tiere, Leute, Häuser, sämtlich aus dem leichtsinnig abgeworfenen Moment gesprossen."

(Janet Frame: Dem neuen Sommer entgegen. München 2010)

 

Aus meinem „Bildertagebuch“ der letzten zwei Jahre haben sich Fotografien, ohne dass ich sie einem bestimmten Thema hätte zuordnen wollen, rein intuitiv zu Paaren zusammengefunden. Das Ergebnis ist überraschend: Über die schlichte Abbildung hinaus entsteht durch das jeweils Verbindende oder Kontrastierende in einem Bilderpaar etwas Drittes, das mit den Assoziationen und der Phantasie des Betrachters angereichert wird. Sie sind nicht ausschließlich Abbilder einer außerhalb von uns existierenden Wirklichkeit, sondern ebenso Manifestationen unserer inneren Welt.

 

Kaum jemand hat für die Kraft dieser intuitiven Form der Wahrnehmung so eindrückliche Worte gefunden, wie die neuseeländische Schriftstellerin Janet Frame (1924- 2004), deren Gedanken in diese Arbeit Eingang gefunden haben. Die Lektüre ihrer Bücher und mehrere Reisen nach Neuseeland haben meine Aufmerksamkeit für „leichtsinnig hingeworfenen Momente“ geschärft. Diese fotografisch einzufangen und sie in meinen Bildern auf eine Weise miteinander korrespondieren zu lassen, dass sie „aufschiessen wie Märchenbäume“, war eine Aufgabe, die mich gleichermassen herausgefordert, wie fasziniert hat. Der Titel meiner Ausstellung, der an ein Zitat von Janet Frame angelehnt ist, bringt nicht nur meine fotografische Arbeit auf den Punkt, sondern ist auch als Hommage an eine ungewöhnliche Autorin zu verstehen.